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Für die Angestellten ist er „l’avvocato“, der Anwalt: Alessondro Rubelli hält bei seiner Firma die Fäden fest in der Hand Bild: Stephan Finsterbusch
In Italien hat es das Luxus-Handwerk schwer. Drei Seidenweber aus Venedig, Florenz und Neapel aber halten die Fäden weiter in der Hand. Einer von ihnen ist Alessondro Rubelli.
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E s ist einer dieser Tage, an denen Venedig untergeht. Das Wasser unten in der Eingangshalle steht ihm bis zu den Knien. Auf dem Canal Grande tanzen die Gondeln nervös auf und ab. Im Palazzo Corner Spinelli schwappen die Wellen durchs Portal. Das Meer drückt in die Lagune, in der Serenissima nennen sie das „Aqua alta“, hohes Wasser: geflutete Plätze, überschwemmte Gassen, nasse Häuser, Untergang auf Raten.
Die Venezianer stapeln Sandsäcke, die Japaner fotografieren, die Chinesen glauben, das alles gehöre zum Unterhaltungsprogramm der Reiseleiter. „Jedes Mal läuft uns hier das Erdgeschoss voll“, meint Alessandro Favaretto Rubelli. Er steht oben in seinem Büro, blickt aus dem Fenster und nippt am Kaffee. Rubelli kennt das Bild dort draußen, er weiß Bescheid. Schlimmer geht’s immer.
In den Sechzigern stand ihm das Wasser unten im Treppenhaus mal bis zum Hals. In den Siebzigern ging es fast bis an die Decke. Heute wird es nicht über die zweite Stufe hinauskommen. Der Notstromgenerator brummt, die Pumpen laufen, über den Fensterbrettern liegt ein halbes Dutzend Schläuche. Sie spucken in armdicken Strahlen die blaubraune Brühe zurück in den Kanal. Die ganze Stadt steht unter Wasser, Rubelli ist obenauf.
Am Morgen hat er sich mit einem Motorboot vom Festland nach San Marco fahren lassen, hat seine Hosenbeine in die Gummistiefel gezwängt, ist mit seinen 82 Jahren und der Aktentasche unterm Arm vom Kai bis zur Treppe gewatet und in den ersten Stock hinaufgestiegen. Er hat seine Schuhe gewechselt, die Hose wieder glatt gezogen und sich Kaffee kommen lassen. Klein, stark, schwarz. Wie immer.
Sein Stadtpalast sieht aus wie ein Schloss. Drei Etagen, weiße Steine, Säulen, Pfeiler und reich verzierte Fensterbögen. Er war einst für die Landos gebaut worden, eine der alten Familien der Stadt. Dann kauften ihn die Corners, noch älter, noch reicher und noch mächtiger. Später verkauften sie den Palazzo an die Spinelli, ein Geschlecht von Seidenhändlern aus Castelfranco. Mitte der Sechziger legte Rubelli die Hand auf das Haus. Heute sitzt er drin.
Sein Arbeitszimmer gleicht der Residenz eines Fürsten. Kastendecke, Kronleuchter, Parkettfußboden. In der Ecke steht ein Bonsai, an der Wand ein Kamin, auf dem Sims die Büste eines Dogen - ein Gritti, Grimani oder Priulis, die alten Wächter der Stadt, gehauen in Marmor, dem Stein für die Ewigkeit. Rubelli denkt an morgen: Die Lieferung nach Hollywood muss noch raus; die Weberei in Como braucht die neuen Muster; Armani steht bald wieder in der Tür. Rubelli macht Druck.
Für die Angestellten ist er „l’avvocato“, der Anwalt. Er muss nicht viel reden, sie verstehen ihn auch so. Heute will er reden, über Familie und Firma, Handel und Wandel, Stoffe und Geschichte. Die Wände seines Büros sind mit Seide bespannt. Seide ist auf den Stühlen und Sesseln, vor den Fenstern, auf dem Boden und dem Tisch. Seide ist sein Geschäft. Rubelli sitzt hinter dem Schreibtisch, einem Stück aus dem Nachlass des Urgroßvaters Lorenzo. Der war Diplomat, Gelehrter und Unternehmer, hatte einst den Botschafterposten in Arabien quittiert, mit wenig Geld 1889 eine kleine Weberei in seiner Heimat Venedig gekauft, sie groß und erfolgreich gemacht. Damit stellte sich Lorenzo an den Anfang der letzten Seidendynastie der Stadt. Alessandro verwaltet sein Erbe.
Die Familie: eine Firma. Ihre Geschichte steht gut sortiert und meterlang im Staatsarchiv. Urkunden und Dokumente, Stamm- und Geschäftsbücher, Bilanzen und Gewinnrechnungen, voller Schicksale: von den Anfängen im Flottenarsenal bis zum Aufstieg in höchste Ämter und Würden der Stadt. In der Kirche San Giovanni sind die Ahnen bestattet: Meisterfärber, Zunft- und Gildeführer, Steuereintreiber, Rechtsgelehrte, Kaufleute, Beamte.
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Seidenweber in Italien: Alessondro Rubelli aus Venedig
In Italien hat es das Luxus-Handwerk schwer. Drei Seidenweber aus Venedig, Florenz und Neapel aber halten die Fäden weiter in der Hand. Einer von ihnen ist Alessondro Rubelli.
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