Plastik verschmutzt inzwischen selbst die entlegensten Winkel der Erde. Die Frage ist aber nicht nur, wie der Abfall der Zivilisation richtig entsorgt wird.
Der Opernplatz ist Frankfurts vornehmster Platz. Doch nachts und morgens an Wochenenden im Corona-Sommer ist er alles andere als repräsentativ: Hunderte Flaschen liegen herum, Pizzakartons stapeln sich neben überfüllten Abfalleimern. Der Boden ist übersät mit Scherben, an etlichen Stellen stinkt es nach Urin. Umweltdezernentin Rosemarie Heilig von den Grünen ist sauer: „Wir wollen doch, dass die Jungen feiern, und wenn sie sonst nirgends hinkönnen, gerne auf der Straße“, sagt sie. „Aber doch bitte, ohne diese Müllberge zu hinterlassen.“ Und Frankfurt ist kein Einzelfall. In Berlin, München und anderswo kämpfen die Verantwortlichen mit demselben Problem.
Lesen Sie hier, wie Frankfurter Oberbürgermeister Feldmann das Müllproblem angehen möchte.
Kampf dem Müll? Aus für Ex- und Hopp? Von wegen. Corona bewirkt das Gegenteil. Seit dem Ausbruch der Pandemie türmt sich in den Städten auf Plätzen und in Parks, wo die Menschen sich wegen geschlossener Clubs treffen, der Müll noch höher als sonst. Coffee-to-Go-becher, Essensverpackungen, Tüten, Glas- und Kunststoff-Flaschen, wohin das Auge blickt. Seit dem Shutdown hat sich der Trend zur Ex-und-Hopp-Verpackung noch einmal beschleunigt. Für viele Restaurant- und Imbissbesitzer war das To-Go-Essen ja auch die die einzige Chance, überhaupt noch Umsatz zu generieren und nicht gleich in die Pleite abzustürzen. Und die Kundschaft machte bereitwillig mit. Umweltskrupel spielten noch weniger eine Rolle als vorher schon.
Corona half dem Weltklima, zumindest etwas. Die CO2-Emissionen sanken erstmals seit der Weltwirtschaftskrise 2008/2009, voraussichtlich 2020 insgesamt um rund fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr – eine der wenigen positiven Folgen der Krise. Doch beim zweiten großen Umweltproblem, dem Müll, bewirkte sie das Gegenteil. Nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch zuhause. In der gelben Tonne von Privathaushalten landeten seit März etwa zehn Prozent mehr Verpackungsabfälle, so das Kölner Recyclingunternehmen „Der Grüne Punkt“. Im Gewerbesektor fiel gleichzeitig zwar weniger Abfall an. Unter dem Strich nahm der Plastikmüll aber insgesamt zu.
Verkehrte Welt. Schließlich hat die Politik dem Ex-und-Hopp-Prinzip und den überbordenden Müllmengen ja den Kampf angesagt – mit der Europäischen Union als Vorreiter. Von 2021 an werden zehn in der EU besonders häufig verkaufte Einwegprodukte verboten, darunter Wattestäbchen, Trinkhalme, Einweggeschirr und aufgeschäumte Polystyrol-Behälter. Alles Produkte, die bei Stichproben am häufigsten an den Stränden in 17 EU-Mitgliedstaaten gefunden worden waren. Ende Juni brachte das Bundeskabinett das Ganze für Deutschland auf den Weg. Von Mitte nächsten Jahres an wird es als Ordnungswidrigkeit geahndet, solche Produkte zu verkaufen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze dazu: „Viele Einwegprodukte aus Kunststoff sind überflüssig und kein nachhaltiger Umgang mit Ressourcen.“
Nur: Für ein Aufatmen gibt es keinen Grund. Einwegplastik zu verbieten, ist zwar ein richtiger Schritt, bringt in der Gesamtbilanz der Umweltbelastung aber wenig. Der Anteil der Ex-und Hopp-Produkte am gesamten Kunststoffverbrauch ist dazu zu gering. In Deutschland, Europas größter Volkswirtschaft, beträgt ihre Menge jährlich rund 105 000 Tonnen, während in der gleichen Zeit rund drei Millionen Tonnen an Kunststoff-Verpackungen genutzt werden, die ebenfalls meist nach kurzer Zeit als Abfall enden. Das heißt: Die weltweit beachtete EU-Regelung vermindert diesen Plastikstrom um ganze drei Prozent.
Tatsächlich ist der Einweg-Bann nur eine Teillösung für ein Teilproblem, selbst wenn der EU-Vorstoß auf anderen Kontinenten Nachahmer findet und die anderen Beschlüsse wie steigende Recyclingquoten für Plastikflaschen umgesetzt werden. Es reicht bei weitem nicht aus. Nicht, um die Strände zu schützen, nicht um das Wachstum der fünf gigantischen Plastikstrudel zu bremsen, die sich auf den Weltmeeren gebildet haben, und auch nicht, um die Verschmutzung der Meere mit Mikroplastik zu stoppen, die unsichtbar ist und zu einem großen Teil aus ganz anderen Quellen stammt, zum Beispiel dem Abrieb von Auto- und Lastwagenreifen. Das Hauptproblem ist die Ressourcenvergeudung durch massenhaft in Verkehr gebrachte Billigkunststoffe, die unzählige Zusatzstoffe enthalten. Doch zu dessen Lösung trägt die gesamte „Abfallstrategie“ der EU, die unter anderem auch höhere Recyclingziele vorsieht, nur in Ansätzen bei.
Wenn große #Kunststoff-Konzerne Projekte gegen #Plastikmüll im Meer unterstützen, ist das gut. Trotzdem muss die produzierte Menge Plastik drastisch weniger werden. Es muss recycelt werden können und Produzenten müssen Verantwortung dafür übernehmen: https://t.co/49EUfH7FNd
Tatsache ist: Die Abfallmengen wachsen weltweit, sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern. Zwar nicht nur bei Kunststoffen, doch hier ist das Problem am augenscheinlichsten. Seit dem Beginn des „Plastikzeitalters“ in den 1950er Jahren sind weltweit rund acht Milliarden Tonnen Kunststoffe hergestellt worden – auf jeden heute lebenden Menschen kommt gut eine Tonne. Derzeit beläuft sich die globale Jahresproduktion auf rund 400 Millionen Tonnen – das entspricht in etwa dem Gewicht von zwei Dritteln der heute auf der Welt lebenden Menschen. Experten schätzen, dass die Herstellung sich ohne eine nachhaltige Kurskorrektur bis 2050 vervierfachen könnte, so Experten der britischen Ellen MacArthur Foundation. Kommt es soweit – und werden Erfassung und Recycling nicht drastisch verbessert –, droht dann mehr Plastik als Fische in den Meeren zu schwimmen, so die Warnung aus einer Studie für das Weltwirtschaftsforum in Davos. Schon heute sind die Mengen riesig. „Derzeit beträgt das Verhältnis von Plastik zu Fisch eins zu fünf“, sagt die italienische Forscherin Maria Cristina Fossi, die die Auswirkungen der Kunststoff-Flut auf das Leben im Meer erforscht.
Die Folgen der Abfallflut sind dramatisch. Dabei geht es nicht nur um die fünf maritimen Müllhalden und die an ihrem Kunststoffmenü krepierenden Seevögel, Schildkröten und Wale, deren Bilder die Weltöffentlichkeit aufrüttelten. Vor allem in den Entwicklungsländern, wo laut Weltbank 90 Prozent des Abfalls einfach weggeworfen oder ungeordnet verbrannt wird. In den meisten Staaten der Welt gibt es Recyclingsysteme wie den „Grünen Punkt“ nicht einmal in Ansätzen. Ungesicherte Deponien kontaminieren Trinkwasser, brennender Müll verschmutzt die Luft, Plastikabfall verstopft Abwasserkanäle und verstärkt so das Risiko für Überflutungen. Besonders die Gesundheitsgefahren, die vom Müll ausgehen, werden oft unterschätzt. Oder schlicht ignoriert.
BÜRGER:INNEN Jeder in Deutschland lebende Mensch produziert im Jahr mehr als 600 Kilogramm Müll. Ratgeber zeigen, wie man da runterkommt – von „Weniger Essen wegschmeißen“ über „Kaffeekapseln vermeiden“ bis zur Frage: „Brauche ich das wirklich?“ Man muss es nur tun. Außerdem: Politiker wählen, die trotz Corona Umweltfragen auf der Agenda haben.
POLITIKER:INNEN Verhelfen Sie endlich einer „Kreislaufwirtschaft“ zum Durchbruch, die nach dem Vorbild der Natur arbeitet – in deren Kreisläufen bleibt auch kein „Müll“ übrig. Und Sie müssen dafür sorgen, dass die Ressourcenpreise endlich die ökologische Wahrheit sagen.
UNTERNEHMER:INNEN Entwickeln Sie neue Geschäftsmodelle: Produkte, ob Handy, Waschmaschine oder Auto, werden nicht mehr verkauft werden, sondern verleast. Die Hersteller bleiben Eigentümer ihrer Produkte und designen sie daher so, dass sie optimal wiederverwertbar sind. Motto sind die drei „R“: Reduce, reuse, recycle.
WEITERLESEN: Die Biologin Indra Starke-Ottich hat das Buch „Mein Weg aus der Plastikfalle – Wie sich Kunststoffe im Alltag vermeiden lassen“ geschrieben. Es ist Anfang August im oekom-Verlag München erschienen, das gedruckte Exemplar kostet 22 Euro, ein PDF ist für 18 Euro erhältlich. jw
Doch damit nicht genug. Das Plastikzeitalter hat praktisch die ganze Erde feinverteilt mit Kunststoffpartikeln in Mikro- und Nanometergröße überzogen, wobei Forscher diese „terrestrische“ Belastung langfristig sogar noch für gefährlicher halten als die der Ozeane. Die Mini-Plastikteilchen, die auch gesundheitsgefährdende Zusatzstoffe wie Weichmacher und Stabilisatoren enthalten, landen am Ende sogar wieder direkt beim Menschen. Sie sind in Speisefisch wie Kabeljau und Makrele gefunden worden, unlängst sogar in Flaschen-Mineralwasser.
Die Vermüllung des Planeten ist ein ebenso dramatisches Signal wie der Klimawandel. Die Abfallflut ist ein Sinnbild dafür, dass die Menschheit die ökologischen Grenzen sprengt, die der Globus ihr unverrückbar vorgibt. Die Wissenschaft diskutiert, das „Anthropozän“ auszurufen, das Erdzeitalter, in dem der Mensch zum bestimmenden Faktor auf der Erde geworden ist – etwa durch Klimawandel, Vernichtung der Urwälder und Förderung der Bodenerosion.
Doch im Wortsinn plastisch wird das Anthropozän, wenn man es als Kunststoff-Ära begreift. Geologinnen und Geologen werden noch in Tausenden von Jahren den Beginn dieses Erdzeitalters leicht bestimmen können – etwa anhand der Plastikfragmente, die sich in den letzten 70 Jahren praktisch überall hin ausgebreitet haben, bis in die Arktis und auf den Himalaya. „Plastik findet sich bereits in allen Ablagerungsräumen der Erde, vom Gebirgstümpel bis zur Tiefsee und wird so als Technofossil zu einem der wichtigsten Leitfossilien des Anthropozäns werden“, so der Paläontologe Reinhold Leinfelder von der FU Berlin. Doch während der Klimawandel als drängendes globales Problem anerkannt ist und die Weltgemeinschaft 2015 immerhin den Paris-Vertrag mit ambitionierten Zielen verabschiedet hat, gibt es beim Thema Müll bisher nichts Vergleichbares.
Seit jeher produziert der Mensch Abfall. Zum Problem geriet das erst, als er während der neolithischen Revolution als Ackerbauer sesshaft wurde und dann immer größere Siedlungen entstanden. Im heutigen Nahen Osten gab es die ersten Müllberge, die, weil der Platz irgendwann nicht mehr reichte, in Schichten aufeinander gepackt wurden. Die Türkei, Libanon und Syrien sind voll von den Resten solcher Siedlungshügel, die „Tell“ genannt werden – berühmtestes Beispiel: Troja. Auch für New York haben Archäologen herausgefunden, dass der Straßenhorizont von Manhattan heute knapp zwei Meter höher liegt als vor 350 Jahren – „Big Apple“ steht auf Abfall und Bauschutt.
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Doch inzwischen ist das Müllproblem global in neue Dimensionen hineingewachsen – weil die Zahl der Menschen exponentiell steigt, der ressourcenintensive Lebensstil der altindustrialisierten Länder weltweit kopiert wird und der „moderne“ Abfall zudem Schadstoffe enthält, die in der Biosphäre eigentlich nichts zu suchen haben. Dabei macht Plastik weltweit „nur“ zwölf Prozent des gesamten Abfalls aus. Der Rest ist anderer Müll verschiedenster Art – vom Zigarettenstummel in der Straßenrinne über Metalle und Rohstoffe wie Seltene Erden, die wertvoll sind und doch weggeworfen werden, bis zu gefährlichem Gift- und Atommüll. Auch Industriemüll in Form von Schlacken, Gips oder Silberfolien wird zu einem immer größeren Problem. Selbst organischer Abfall, der eigentlich wieder unschädlich in den biologischen Kreislauf eingehen könnte, kann Umweltschäden auslösen, wenn er deponiert wird und dann im Innern der Müllhalde unter Luftabschluss das besonders gefährliche Treibhausgas Methan entsteht.
Die Müllmengen drohen unaufhaltsam weiter zuzunehmen. Experten der Weltbank rechnen damit, dass sie bis 2050 um 70 Prozent ansteigen, von derzeit zwei Billionen Tonnen pro Jahr auf 3,4 Billionen. Europäer und Nordamerikaner werden danach bis Mitte des Jahrhunderts ein Viertel mehr Abfall produzieren als heute. In Asien werde die Menge je nach Region um 50 bis 100 Prozent anwachsen und sich in Afrika verdreifachen.
Umweltforscher haben die moderne Produktionsweise als gigantische Rohstoffverschwendungs-Maschine beschrieben, bei der quasi als Nebeneffekt Produkte oder Dienstleistungen abfallen. In einem Industrieland wie Deutschland werden laut dem Thinktank Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI) jährlich pro Kopf annähernd 33 bis 40 Tonnen Rohstoffe eingesetzt, um den gegenwärtigen Lebensstil aufrechtzuerhalten. Das ist etwa 30- bis 50-mal mehr als in den ärmsten Ländern der Erde üblich. „Als global nachhaltiges Maß gelten acht Tonnen pro Kopf und Jahr“, schreibt das Institut.
Der Mensch verändert dem Globus inzwischen nach Aussage des im vorigen Jahr verstorbenen Umweltforschers und früheren WI-Vizepräsidenten Professor Friedrich Schmidt-Bleek stärker als die geologischen Kräfte – noch ein Beleg für die „Anthropozän“-These. Ökologisch wird das vor allem zum Problem, weil im Durchschnitt mehr als 90 Prozent der in der Natur bewegten und entnommenen Ressourcen auf dem Weg bis zur Erzeugung von Nahrungsmitteln, Maschinen, Gebäuden, Fahrzeugen und Infrastrukturen sowie nach der Gebrauchsphase zu Müll degenerieren. Seit 1970 haben sich Abbau und Verbrauch von Rohstoffen weltweit verdreifacht. Die Ressourcenströme sind gigantisch, und die Recyclingquoten sind viel zu niedrig.
Selbst in der hochentwickelten deutschen Wirtschaft werden nur 13 Prozent der in der Industrie eingesetzten Materialien am Ende wieder für neue Produkte wiederverwertet, weltweit sind es gar nur sieben Prozent. Von einer perfekten Verwertungskette ist die Bundesrepublik, in der schließlich der „Grüne Punkt“ erfunden wurde, weit entfernt – zumal sie sich eines Gutteils ihres Mülls durch Exporte in andere Teile der Erde entledigt. Er landet dann in Rumänien, Ghana, Indonesien oder Malaysia.
Von den deutschen Kunststoffabfällen enden bis zu 20 Prozent im Ausland. Wichtigstes Empfängerland ist inzwischen Malaysia, nachdem China seine Grenze dafür dichtgemacht hat, gefolgt von Indien und Vietnam. Das Hauptproblem hierbei: Das Plastikmaterial ist oft weder gereinigt noch vorsortiert. Die Abnehmer suchen sich dann oftmals nur bestimmte Teile heraus, deren Verwertung Gewinn bringt. Der Rest wird verbrannt oder auf Deponien gekippt, ein Teil endet auch in Flüssen und über sie im Meer. Doch nicht nur Deutschland verfährt so, praktisch alle Industrieländer nutzen Entwicklungs- und Schwellenländer als Billigdeponie.
Sungai Petani ist ein Beispiel dafür, eine Stadt in Malaysias Norden, in deren Umgebung eine Reihe illegaler Müllverbrennungsanlagen betrieben werden. Nachts, wenn die Öfen hochgefahren werden, damit keiner sieht, wieviel Dreck hier in die Luft gepustet wird, ist der Gestank besonders schlimm. Bricht der Tag an, haben sich die schwarzen Wolken verzogen – der säuerliche Geruch der wilden Müllkippen bleibt. Und die Folgen für die Menschen. Die Umweltorganisation Greenpeace, die unlängst an zehn Deponien in Malaysia Boden- und Wasserproben entnahm, fand dort unter anderem Rückstände bromhaltiger Flammschutzmittel. Ihr Experte Manfred Santen: „Die Schadstoffe können in die Nahrungskette gelangen und für die Bevölkerung ein erhebliches gesundheitliches Risiko darstellen.“
Ein anderes, besonders kritisches Beispiel sind die laut UN jährlich weltweit anfallenden bis zu 50 Millionen Tonnen Elektroschrott, von denen ein großer Teil in Afrika entsorgt wird – in Ländern wie Ghana, Nigeria oder Kamerun. Dass das „Recycling“ ausgedienter Computer, Laptops oder Fernseher hier unter unhaltbaren Zuständen geschieht, ist nur allzu bekannt. Beispiel ist „Agbogbloshie“: In diesem Slum am Rande von Ghanas Hauptstadt Accra landet ein Großteil des Elektroschrotts aus aller Welt. Die Arbeiter, oft Kinder und Jugendliche, schmelzen Plastikummantelung von Kabeln und Platinen weg, um an die Rohstoffe zu kommen, die sie verkaufen können. Die Reste verbrennen sie, wobei gefährliche, teils krebserregende Gifte frei werden. Darunter Blei, Cadmium und Quecksilber.
Der Schlüssel, um den zu hohen Rohstoffverbrauch und damit auch die Abfallströme einzudämmen, liegt in einer Verbesserung der Ressourcenproduktivität – also einer besseren Ausnutzung der Materialien, um die benötigten Dienstleistungen zu erbringen – und im Übergang zu einer echten Kreislaufwirtschaft. Weltweit muss die Ressourcennutzung Schmidt-Bleek zufolge mindestens halbiert werden, in den Industrieländern erfordert das eine Verminderung sogar auf ein Zehntel des bisherigen Niveaus („Faktor 10“). Konzepte dafür gibt es in vielen Bereichen – im Verkehr zum Beispiel kann der Umstieg vom Auto aufs Fahrrad für den jeweiligen Weg mehr als diese Einsparung bringen. Konsequent umgesetzt werden sie jedoch bisher nicht, unter anderem, weil die Rohstoffpreise zu niedrig sind und nicht die „ökologische Wahrheit“ sagen, wie es etwa der Umweltforscher Ernst Ulrich von Weizsäcker fordert. In Deutschland ist der Pro-Kopf-Ressourcenverbrauch in den letzten Jahren sogar wieder angestiegen.
Wie in der Klimafrage ist auch bei den Rohstoffen eine radikale Trendwende nötig. Abfälle müssen in der Produktion, beim Konsum und im Abfallmanagement drastisch reduziert werden. Nötig sind eine spürbare Besteuerung von Rohstoffen, ein konsequentes Recycling und veränderte Konsumgewohnheiten. Ein wichtiger Hebel können auch neue Geschäftsmodelle sein, bei denen Produkte, wie zum Beispiel Haushaltsgeräte, nicht mehr verkauft werden, sondern für einer bestimmte Nutzungsdauer verleast werden. Vorteil: Die Hersteller bleiben Eigentümer ihrer Produkte und designen sie daher so, dass sie optimal wiederverwertbar sind. „Eine Waschmaschine würde dann nicht mehr wie heute rund 150, zum Teil minderwertige Plastiksorten enthalten, sondern nur noch fünf“, erläutert der Lüneburger Professor und Öko-Vordenker Michael Braungart, „mehr braucht man nicht.“ Ziel solcher Konzepte ist eine praktisch geschlossene Kreislaufwirtschaft, auch „Circular Economy“ oder „Life Cycle Economy“ genannt. Sie arbeitet nach dem Vorbild der Natur, in deren Kreisläufen auch kein „Müll“ übrigbleibt.
Umfassende Konzepte für eine Kreislaufwirtschaft fehlen in den meisten Industrieländern noch – auch in Deutschland, in dem bereits 1994 ein „Kreislaufwirtschaftsgesetz“ mit dem Ziel Abfallvermeidung beschlossen wurde. Allerdings arbeitet eine Reihe Länder in der einen oder anderen Form daran. Frankreich hat 2018 einen 50-Punkte-Plan für eine Kreislaufwirtschaft vorgestellt, der helfen soll, den Ressourcenverbrauch in den nächsten Jahren um ein Drittel zu senken. Starke Impulse kommen auch von der EU-Kommission. Sie hat einen „Circular Economy Action Plan“ aufgelegt, der die Wirtschaft in der Union auf die grüne Spur bringen und bis 2030 rund 700 000 zusätzliche Jobs bringen soll.
Die Entwicklungsländer hingegen sind von einem solchen Umbau noch sehr weit entfernt. In vielen von ihnen gibt es allerdings einen informellen Recyclingsektor, der aufgewertet und als Baustein für eine Kreislaufwirtschaft genutzt werden könnte – die „Waste Pickers“. Schätzungen zufolge gibt es 15 Millionen von ihnen, meist Kinder und Jugendliche, Frauen, Arbeitslose, ältere Menschen oder Migranten, die Mülltonen und Müllhalden durchsuchen, um Verwertbares zu finden und damit etwas Geld zu verdienen. Sie in die normale Wirtschaft einzugliedern und ihnen ordentliche Jobs zu geben, könnte ein Ansatz zum Aufbau von Rohstoff-Stoffkreisläufen sein.
Gerade mit Maßnahmen gegen die sich zuspitzenden Plastikkrise könnte die Weltgemeinschaft beweisen, dass sie den Ernst der Lage erkannt hat. Experten halten das spektakulärste Problem, die weitere Vermüllung der Meere, grundsätzlich für lösbar. Voraussetzung wäre der Aufbau funktionierender Sammel- und Recyclingsysteme für den Plastikabfall in Entwicklungsländern, wie sie in vielen Industriestaaten Standard sind. Der Großteil des Kunststoffmülls in den Ozeanen gelangt von asiatischen und afrikanischen Ländern wie China, Indonesien, den Philippinen, Ägypten und Nigeria über nur zehn große Flüsse weltweit dorthin – und könnte durch solche Maßnahmen ferngehalten werden.
Es geht darum, den Müll-Nachschub zu minimieren. Denn den Abfall nachträglich aus den Meeren zu holen und von den Stränden zu beseitigen, ist schwierig und aufwändig – wenn nicht sogar unmöglich. „The Ocean Cleanup“, das spektakuläre Projekt des niederländischen „Plastikfischers“ Boyan Slat, hatte 2019 jedenfalls mit großen Anlaufproblemen zu kämpfen. Der Pilotversuch im „Great Pacific Garbage Patch“, dem größten Müllstrudel in den Ozeanen, funktionierte nicht so wie erhofft. Andere, weniger spektakuläre Müllsammelaktionen indes machen Hoffnung. Zum Beispiel die des jungen indischen Anwalts Afroz Shah, der 2016 die weltweit größte Bewegung zur Strandreinigung aller Zeiten initiierte. Auslöser war ein Besuch Shas und seines damals 80-jährigen Nachbarn Harbanash Mathur an einem der größten Strände Mumbais, der sie schockte. Sie sahen dort eine riesige Ansammlung aus verrottendem Müll, die stellenweise knietief geworden war. Plastiktüten, Zementsäcke, Glasflaschen, Kleidungsstücke, Schuhe und andere Abfälle bedeckten jeden Zentimeter Sand und verwandelten die einst unberührte Küste in ein Ödland. Sie krempelten die Hemdsärmel hoch, gingen zum Strand hinunter und begannen, Müll aufzuheben. Das inspirierte viele Mitstreiter in Indien und anderen Ländern mitzumachen. Er bekam die Auszeichnung „UN-Champion des Jahres“ verliehen.
Leider ist das Problembewusstsein bei den Haupt-Vermüllern noch zu gering, auch wenn es mutmachende Beschlüsse gibt. Indien zum Beispiel hat das Verbot von Einwegplastik ab 2022 beschlossen, Kenia die Plastiktüte aus dem Verkehr gezogen, Israel die Menge der Plastiktüten im Meer halbiert. Doch von den großen Problemländern haben sich nur Indonesien, die Philippinen und Thailand der 2017 von den UN gestarteten Kampagne „Clean Seas“ angeschlossen.
Das zeigt: Es muss erst noch viel Aufbauarbeit geleistet werden, bevor beim Plastikproblem ein Bewusstseinsstand wie in der Klimafrage erreicht werden kann. Trotzdem muss das Ziel sein, einen internationalen, völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zu erreichen, der die Regierungen verpflichtet, die Umweltverschmutzung durch Plastik zu beseitigen. Und das nicht nur in den Meeren, sondern ganz grundsätzlich in allen Ökosystemen. Plastikvermeidung und -Mehrfachverwendung sowie Etablierung einer geschlossenen Plastik-Kreislaufwirtschaft sind die Stichworte. Der Berliner Experte Nils Simon hat dazu einen Vorschlag vorgelegt, der sich am 2015 verabschiedeten Pariser Klimaabkommen orientiert – eine Konvention mit einem verbindlichen, übergreifenden Ziel, kombiniert mit nationalen Aktionsplänen. Diese Idee voranzubringen, wäre eine Aufgabe für die EU. Sie hat ja auch schon beim internationalen Klimaschutz diese Vorreiterrolle übernommen. (Von Joachim Wille)