Die Welt mag zwar keine Scheibe sein, aber dank Billund wissen wir jetzt: Sie hat Noppen. Das, könnte man meinen, will uns der nun mehr vierzigste Entwurf aus der Ideas-Reihe nahelegen: Der LEGO 21332 Globus. Wer sich ein spezifisch dänisches Weltbild immer als hygglige Fahrradtour durch ein Hot-Dog und Smørrebrød schlemmendes sozialdemokratisches Wikinger-Dorf vorgestellt hat, der wird mit diesem Set knallhart eines Besseren belehrt. Nein, hätte ein Däne die Erde geschaffen, sie bestünde aus LEGO-Steinen. Und hier ist sie also: Eine Weltkugel ganz danish style, eine aus Stecksteinen zusammengebaute Miniatur-Version unseres blauen Planeten, auf dem wir unser aller Leben leben. Ob sich diese noppige Welttournee anzutreten lohnt, das erfahrt ihr in unserem heutigen Review.
Es gibt sie aus Holz, Gips, Kunststoff – und nun auch aus dänischen Klemmbausteinen. An sich keine schlechte Idee – das dachte sich wohl auch der 23-jährige Student Guillaume Roussel aus Frankreich und versuchte mit seinem LEGO gewordenen Globus-Modell auf der Crowdsourcing-Plattform „Ideas“ sein Glück. Immerhin, die Dänen sind es ja selbst, die unlängst die Parole „Rebuild the World“ ausgerufen haben. Nun, man kann ihnen entgegnen: Hier habt ihr sie, die rebuilte World.
Nach gerade einmal 89 Tagen in die erste Review-Phase 2020 gewählt, setzte sich Roussels Globus schließlich gegen einen funktionierenden Wasserfall, eine akkurate Nachbildung des antiken Roms und Queens Miracle Express durch, zeigte Elon Musk gleich zwei Mal schelmisch die Zunge (die SpaceX-Rakete zündete nicht in Billund und der Tesla blieb beim Review Board auf der Strecke liegen) und behauptete sich auch gegen unzählige Lizenz-Entwürfe von Futurama bis Zelda – so ein Globus hat dann wohl doch einen einfach unwiderstehlichen Charme.
Für Roussel, der seit 2018 auf Ideas unterwegs ist, nicht der erste groß Erfolg: Als Gewinner des Hogwarts Winter Contests landete er schon einmal einen Coup. Und Bautalent, das hat der junge Mann zweifelsfrei. Ob er mit seinem Mississippi-Raddampfer die literarische Welt von Mark Twain auferstehen lässt, LEGO-Fans mit einem Revamp des Adventurers Skorpion-Palasts von 2003 entzückt oder eine Slot-Maschine entwirft, man kann zurecht behaupten: Er versteht etwas von seinem Fach. Sein Nutzername Disneybrick55 ist übrigens Programm. Disney-basierte Bauten gibt er als eine seiner Spezialitäten an.
Vom Herrschaftssymbol und Navigationsobjekt bis hin zum Massenprodukt und Erwachsenen-Achtsamkeitsspielzeug eines dänischen Spielwarengiganten: So lässt sich die lange Geschichte der Globenherstellung grob skizzieren. Wie die Welt beschaffen ist, darüber machte sich die Menschheit seit Anbeginn der Zeit Gedanken. Dass die Menschen die Erde dabei vor dem Aufkommen der modernen wissenschaftlichen Methode für eine Scheibe hielten, ist nur die halbe Wahrheit: In der Antike haben die großen Denker unlängst festgestellt, auf einer riesigen Kugel zu leben. Der griechische Gelehrte Eratosthenes schaffte es knapp 200 v. Chr. sogar erstaunlich genau den Erdumfang auszumessen. Den ersten Globus soll laut römischen Quellen der Philosoph Krates von Mallos 150 v. Chr. gebaut haben.
Mit Beginn der großen Entdeckungsreisen hatte die Globenherstellung in Europa erstmals Hochkonjunktur. Immer neuere Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Welt brachten zahlreiche Handwerker hervor, die sich mit der Kunst der Globusherstellung befassten. Im Zentrum dieser Entwicklung: Die Stadt Nürnberg. Hier stellte Martin Behaim 1492 den ältesten noch erhaltenen Globus überhaupt her, den so genannten „Erdapfel“. Zwar fehlten hier noch Nord- und Südamerika und auch Ostasien schaut nicht ganz so akkurat aus, doch davon abgesehen waren die Darstellungen insbesondere Europas und Afrikas erstaunlich genau.
Nicht zuletzt ist die 51 cm breite Kugel ein einzigartiges Kunstobjekt: Flaggen, Wappen, Verzierungen und Fabelwesen schmücken die Oberfläche des Behaim-Globus. Heute könnt ihr den Erdapfel im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg bestaunen. Nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus waren zunehmend auch die Umrisse der „Neuen Welt“ auf den europäischen Globen zu sehen. Der älteste noch erhaltene Globus, der Südamerika zeigt, ist eine 1515 von Johannes Schlüter in Bamberg hergestellte Erdkugel – als Wahl-Bamberger sei mir diese Erwähnung erlaubt.
Im 16. Jahrhundert verlagerte sich die Globenproduktion in die Niederlanden: Amsterdam galt nun als die neue Hochburg in Sachen Globusmanufaktur. Die Herstellung einer solchen Erdkugel war dabei äußerst aufwendig und teuer, daher wurden sie zunehmend als Prunk- und Statussymbol angesehen.
Das Zeitalter der Aufklärung mit seinen Postulaten von Vernunft und Rationalität brachte schließlich einen grundlegenden Wandel in der Globusherstellung: Die kunstvollen Verzierungen verschwanden allmählich und statt Phantasiedarstellungen unbekannter Regionen beließ man es bei schlichten weißen Flecken. Das 19. und 20. Jahrhundert mit der sich anbahnenden Industrialisierung erlaubte schon bald die Serienproduktion der Globen. Heute ist ein Globus eine schnell produzierte Massenware, die nicht nur als Lehrmittel in der Schule zum Einsatz kommt, sondern inzwischen auch als Dekoobjekt in unzähligen Haushalten zu finden ist.
Es sieht düster aus für unsere Welt. Will uns LEGO das unterschwellig mit dem schwarzen Boxdesign sagen? Angesichts des Zustands unseres Planeten könnte man auf die Idee kommen. Aber vielleicht missverstehen wir ja und dieser glänzend-düstere Hintergrund ist stattdessen als etwas subtil Poetisches gemeint: Seht her, unsere kleine blaue Perle im unendlichen schwarzen Nichts des Weltalls. Wohl weder noch. Schwarz, das ist bei den Dänen unlängst die Farbe der Erwachsenen. Ein eindeutiges Signal: Hier hört der Kinderspaß auf und beginnt das ernste Bauen. Irgendwie paradox: Hatte als Kind nicht gefühlt jeder so einen billigen Globus aus Kunststoff bei sich auf dem Schreibtisch zu stehen? LEGO zeigt uns: Wie unverantwortlich! Globen – nicht für unter 18 Jahren!
Es gab ja mal Zeiten, wo Boxen von Ideas-Sets farbenfroh und kreativ gestaltet waren. So eine Packung wie die des 21313 Flaschenschiffs mit dem Pergament, dem Tintenfass, dem Bullauge, herrlich, die möchte man in dicker Schutzfolie konserviert am liebsten im Museum ausstellen. Aber hier. Hm. Lässt einen irgendwie kalt.
Zumindest beim Boxrand hat man sich ins Zeug gelegt: Ein goldener LEGO-Stein-Streifen ziert die Unterseite. Ob man das als LEGOs selbstironisches Eingeständnis interpretieren kann, dass in Anbetracht eines stolzen Preises von 200 Euro man hier Kunststoff-Steine im Goldwert kauft oder man einfach nur ein bisschen Glamour-Feeling versprühen wollte, das sei jedem selbst überlassen.
Für wen ein riesiger LEGO-Ball noch nicht Verkaufsargument genug war, den versucht die Rückseite mit den Zusatzfunktionen zu locken, die hier in drei kleinen Bildchen demonstriert werden. Erstens: Der Globus ist groß. 40 cm! Zweitens: Die Schilder leuchten. Im Dunkeln! Und drittens: Das Set macht sich herrlich als Staubfänger in einem so retromäßig eingerichteten Zimmer, dass man meinen könnte, es wäre das Geburtshaus von Kolumbus.
An den Seitenlaschen noch ein paar zusätzliche Ansichten von allen Erdteilen, man will ja niemanden vergessen und unten der Hinweis auf Erstickungsgefahr in sämtlichen Sprachen der Erde. Hätte man sich sparen können, ist doch eh 18+, aber angesichts dieses Modells kann man darin schon fast eine kosmopolitische Grundhaltung sehen.
Pathetisch beginnt unser Bauvergnügen. „A tiny speck on the intergalactic map, hurtling through space, forged (roughly speaking) of stardust and nuclear waste, our planet and life on it is quite the astronomical oddity“ heißt es gleich auf der ersten Seite in einem Anflug schwärmerischer Grübelstimmung. Vielleicht war ja 18+ doch nicht so falsch. Denn auf den Infoseiten werden uns mit viel Schwermut küchenphilosophische Denkanstöße gegeben: Über das Wesen des Menschen, der sich diesen Planeten zu eigen gemacht hat, über Entdeckergeist und die Vorstellung der idealen Welt.
Da fallen große Begriffe wie Zukunft, Gerechtigkeit und vor allem auch: Nachhaltigkeit. Und hier setzen die Dänen zu einer eigenlöblerischen Festrede an, wie wichtig ihnen in Billund Umweltschutz und die Verbesserung unseres Planeten sind. Will man ihnen gerne glauben, aber dann sieht man den riesigen Berg Plastiktüten, den man nach ein paar Stunden Bauen hinterlässt. Konsequent.
Solche Infoseiten sind ja ganz nett vor allem da, wo es um die Geschichte der Globusherstellung geht, wo der Fandesigner vorgestellt wird und das Layout der Seiten lässt sich auch sehen. Aber zumeist ist es dann doch ein fröhliches Anstoßen auf sich selbst. Gegenseitige Respektsbekundungen der Designer, wie toll wir doch unseren Job gemacht haben, ein Hochleben dieses „art pieces“ und selbst in etwas vergleichsweise Banales wie den leuchtenden Namensplättchen wird gleich der „spirit of adventure“ hineininterpretiert.
Hat man sich durch diesen schnulzigen Marketing-Sprech durchgekämpft, geht es gleich ans Bauen. Und da ist die Anleitung wie immer solides Handwerk. Einfach und verständlich, sodass selbst LEGO-Einsteiger sich fühlen können wie die großen Globus-Künstler der vergangenen Jahrhunderte.
„Ich mach‘ mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt“, sang Pippi Langstrumpf bekanntlich und man könnte meinen, mit den unendlichen Kombinationsmöglichkeiten von LEGO-Steinen hat sie endlich die Chance dazu. All jene, die lieber bei der harten topographischen Faktenlage bleiben möchten, müssen sich wohl oder übel an die Anleitung halten.
Der Aufbau beginnt mit dem Sockel und der Halterung, hier werden sechs identische Grundelemente mittels Hinge Bricks zu einem gigantischen „C“ geformt. Alle, dessen Namen mit „C“ anfangen, Fans der Programmiersprache C sind oder sich an der geometrischen Schönheit von Halbkreisen erfreuen, können an dieser Stelle das Set so lassen, für alle anderen geht es mit dem Bau der Erdkugel weiter.
Zahlreiche religiöse Schöpfungsgeschichten und selbstverständlich auch die Wissenschaft beschäftigen sich mit der Entstehung unserer Welt. Mythische Erzählungen und physikalische Tatsachen schildern das dabei auf denkbar spektakuläre Weise. Vom christlichen Gott, der die Erde in sechs Tagen schuf, vom „Big Bang“, von großen Naturgewalten, die das Antlitz der Erde formten. Wer sich beim Bau seiner LEGO-Erde auch wie ein allmächtiger Schöpfer fühlen möchte, der sei gewarnt: Diese Klötzchenwelt zu erschaffen ist bei Weitem nicht so aufregend wie uns Religion und Wissenschaft nahelegen.
Im Gegenteil: Ich habe selten ein Modell gebaut, das so ermüdend und monoton war wie der LEGO 21332 Globus. Aber wahrscheinlich muss man es nur aus dem richtigen Blickwinkel sehen. Entspannung und achtsame Momente sind die Schlagworte, mit denen die Dänen ihre Erwachsenen-Sets verkaufen. Einfach mal abschalten vom Alltagsstress, meditatives Bauen praktizieren: Wenn zu dieser Vorstellung auch das Eindösen zwischen lauter blauen und grünen Plastik-Steinen gehört, ist der LEGO 21332 Globus wohl ein Vorzeigeset ins Sachen Achtsamkeit.
Noch unwissend, auf was für eine gähnende Odyssee man sich bei diesem Set einlässt, beginnt das Bauen zunächst noch ganz passabel: Einen Äquatorring aus dunkelblauen 8×8-Platten bastelt man, angeschrägte Technic-Connectoren sorgen für die nötige runde Form. Diesen schmückt man anschließend mit den ersten Umrissen der Kontinente, Zentralafrika entsteht aus grünen Wedge-Plates, das Inselgewirr Indonesiens und ein Stück Südamerikas blinken auf.
Was die Welt im Innersten zusammenhält, das interessierte Goethes Faust brennend, LEGO hat die Antwort parat: Eine Konstruktion aus Liftarmen und Stangen sorgt vielleicht nicht für den sozialen, dafür aber den technischen Zusammenhalt dieser Welt. Dieses Turmgebilde mit den vier Seitenarmen kleiden wir nun nach und nach mit der Nord- und Südhalbkugel aus. Und was das Bauen ab hier unheimlich einschläfernd macht: Die Oberfläche besteht aus nur zwei Grundelementen, die sich auf dem Äquatorring reihum abwechseln. Will heißen: Man baut jeweils zwei mal sechzehn mal dasselbe. Ätzend.
So ist man vielleicht nicht 80 Tage um die Welt unterwegs, aber ein Ungeübter könnte durchaus 80 Stunden für diese noppige Welttournee brauchen. Die einzige Abwechslung liefert das Besticken mit den Kontinenten, die wahrhaftig einzige Motivation, sich 32 Mal diese Tortur anzutun. Zu sehen, wie nacheinander die Kontinente und Landmassen der Erde entstehen, wie diese beeindruckende Kugel Schritt für Schritt anwächst, das hält einen irgendwie dann doch bei Laune.
Ist das letzte Element gesetzt, kommen zum Schluss noch die Polkappen in Form von weißen 10×10-Dishes drauf. Spätestens hier sind echte Geografie-Kenntnisse gefragt, denn die Schüsseln sind mit den Bezeichnungen „Antarktis“ und „Arktis“ bedruckt. Kleine Eselsbrücke: „Antarktis“ enthält ein „n“ und das steht für: „Nicht Norden“. Man muss aber auch feststellen: Dieses Modell ist ein Retro-Globus durch und durch. Denn so riesige Eismassen kenne ich persönlich nur noch aus Satellitenbildern von 1970. Eine beileibe optimistische Weltsicht, die uns Billund hier präsentiert. LEGO Globus bauen for Future, wenn man’s so will.
Je mehr man diese Weltkugel zusammen zimmert, desto mehr hat man den Eindruck, dass 18+ hier womöglich doch ganz passend gewählt ist. Mit diesem Label werden ja gemeinhin sogar die Sesamstraße, Winnie Pooh und die wahrlich nicht so schwer zu bauenden Star-Wars-Helme versehen. Doch beim LEGO 21332 Globus ist tatsächlich viel Feingefühl gefragt, gerade beim Verzieren mit den Kontinenten, aber vor allem auch: Beim Befestigen an der Halterung. Dieser Moment kann einem tatsächlich ein bisschen den Atem rauben, denn wer sich hier ungeschickt anstellt, erlebt einen wortwörtlichen Weltuntergang. Vorsichtig mit den herausragenden Technic-Stangen einfädeln, gut festhalten und den Pin ins Loch stecken – dann noch die Halterung etwas auskleiden und fertig ist der Globus.
Nun ja, fast. Bei Sets dieser Monumentalität legt LEGO ja gerne noch schicke Plaketten mit Zusatzinformationen rein. Die gibt es hier gewissermaßen auch: Zwar nicht als kleine Infobroschüre wie bei den UCS-Star-Wars-Modellen, hier reichte den Designern ein unaufdringliches „The Earth“ umrahmt von gebogenen Gold-Tiles. Außer einer gewissen ästhetischen Aufwertung hat das Schildchen wohl aber keinen weiteren Sinn. Die einzigen, die sich staunend darüber beugen und sagen werden: „Ach das ist die Erde!“ sind Außerirdische, deren Schiff auf unserem Planeten notlanden musste und die nach Informationen über ihren Aufenthaltsort in den galaktischen Weiten ausgerechnet zuerst in einen LEGO Store gingen.
Wer einen dringenden Bedarf an dunkelblauen Platten hat, der sollte beim LEGO 21332 Globus zuschlagen: 32 8×8-Platten, 2×4- und 3×6-Wedge Plates bekommt man nicht in vielen Sets. Aber auch die goldenen Tiles und Slopes lassen sich sehen. Highlight in Sachen Teile dürften jedoch unbestritten die bedruckten Fliesen sein: Auf abgerundeten 2×4-Tiles in grün, tan und dunkelblau sind die Namen der sechs Kontinente und drei Ozeane aufgedruckt. Und das ist noch nicht alles: Auch die „The Earth“-Plakette sowie die Polkappen sind bedruckt, in der Antarktis sind zudem ganz dezent Initialen des Fandesigners Guillaume Roussel und die Jahreszahl „2022“ in römischen Ziffern eingraviert.
Auch hübsch anzusehen: Die Windrose samt Schwertlilie, die majestätisch aus dem Südatlantik ragen und aus zwei runden 2×2- und vier Viertelkreisfliesen bestehen. Ansonsten befinden sich unter den 2585 Teilen viel grüner Kleinkram, braune Slopes und ein Haufen Technic-Gerümpel in grellen Gelb- und Orangetönen. Nicht schlecht staunt man, als aus den Tüten plötzlich vier Autoreifen kullern. Welchen Sinn die innerhalb der Haltekonstruktion im Inneren allerdings erfüllen, erschließt sich mir bis heute nicht so richtig – Technic-affine Menschen dürfen mich hier gerne aufklären.
Tja, was für eine Daseinsberechtigung hat so ein Globus schon? In erster Linie wohl: Die Kugel genüsslich hin- und herdrehen. „Für dich dreh‘ ich so lange an der Erde, bis du wieder bei mir bist“, trällerte Yvonne Catterfeld ja in einem kitschigen Bohlen-Song und wer dem oder der Angebeteten tatsächlich diesen Liebesbeweis erbringen möchte: Hier bitteschön. Dreh‘ mal. Als jemand, der solche Funktionen gerne auch bis ans Äußerste austestet, kann ich euch versichern: Der LEGO 21332 Globus hält so einige Geschwindigkeiten aus. Nur zu versuchen, damit die reale Drehgeschwindigkeit der Erde zu erreichen, das lasst mal lieber.
Davon abgesehen wird der noppige Globus wohl aber nur eine Funktion erfüllen: Schick aussehen – was allerdings bei gewöhnlichen Kunststoffgloben nicht viel anders ist. Man kann es einem ja auch nicht verübeln. Die ganze Welt auf seinem Schreibtisch, dazu mit schnödem Vintage-Rahmen, das hat einfach Stil. Und dann noch die leuchtenden Namensplättchen. Licht aus und schon schimmern die Glow-in-the-Dark-Fliesen im milchigen Grün. Ob das wirklich sein musste, darüber kann man streiten. Schöne Spielerei, man darf bloß nicht vergessen, dass sein Globus nachts im Dunkeln leuchtet, sonst wacht man schweißgebadet auf und denkt, einen Schwarm Monster-Glühwürmchen im Haus zu haben.
Wo wir gerade bei den Platten sind: Pädagogisch wertvoll soll Spielzeug ja immer sein und hier hat man zumindest eine kleine Möglichkeit gefunden, dem gerecht zu werden. Wer nämlich nicht stocksteif darauf beharrt, hier ein reines 18+-Adults-Only-Modell gebaut zu haben, der kann die Kinder in der Verwandtschaft dazu einladen, ein lustiges Kontinente-und-Ozeane-benennen-Spiel zu spielen. Das macht dann aber wirklich nur für absolute Geografie-Einsteiger Spaß, jedes Schulkind jenseits von acht Jahren wird sich furchtbar langweilen, die Platten den grün-tan-farbenen Erdmassen zuzuordnen. Dem Nachwuchs erklären, wo Osttimor, die Färöer Inseln oder St. Vincent und die Grenadinen liegen, dazu taugt diese LEGO-Erdkugel allerdings leider nicht. Dafür sind die Kontinente zu vereinfacht dargestellt.
Und dennoch: Klemmbaustein sei Dank ist ja ein LEGO Globus nicht einfach nur ein starres Abbild der Erde. Die Noppen laden ja förmlich dazu ein, die Oberfläche mit lauter lustigen Gimmicks zu versehen: Eine kleine rote Plate überall dort, wo man schon im Urlaub war, ein paar Sehenswürdigkeiten im Mikromaßstab, Tiere, die über die Kontinente streifen. Die Setdesigner machen es ja selbst vor: Das schmuck gebaute Segelboot im Pazifik versprüht doch gleich Sehnsucht, aus dem Alltagstrott auszubrechen und dem Abenteuer entgegen in See zu stechen. Nur: So vor dem winzigen Hawaii ist das Bötchen schon irgendwie unglücklich platziert. Bei den Proportionen wäre mir ja Angst und Bange, wenn ein derart überdimensionales Schiff auf meine geliebte Heimatinsel zusteuern würde.
Die Gestaltungsspielräume sind endlos: Erfülle dir als kleiner Hobby-Despot endlich deinen langersehnten Traum von der Weltherrschaft und biege die Dinge so zurecht, wie sie gefälligst zu sein haben: Trenn‘ die Mexikaner vom amerikanischen Festland, ärgere die Briten mit einer Landverbindung nach Europa oder bewältige deinen Frust über die verspätete Lieferung der Playstation 5 und mache den Suezkanal breiter.
In was für einer zerbrechlichen Welt wir doch leben. Dieser Satz könnte nicht genauer auf den LEGO 21332 Globus zutreffen. Man staunt und ist irgendwie immer in dauerhafter Angststarre, wenn man sich das fertige Modell anschaut und sieht, dass diese wuchtige Erdmasse doch tatsächlich allein von dünnen Technic-Stangen gehalten wird. Eine designtechnische Höchstleistung, das muss man anerkennend sagen.
Von der Ästhetik kann man das leider nicht ganz behaupten. So hübsch ich den LEGO 21332 Globus auf ersten Bildern fand, so enttäuscht bin ich jetzt ein wenig. Es stellt sich die Frage: Wäre eine Version aus normalen Basissteinen nicht viel eleganter gewesen? Ich hadere vor allem mit den doch sehr deutlich zu sehenen Gräben zwischen den Platten.
Nicht nur, dass bei näherem Hinschauen die ganze Technic-Konstruktion durchscheint (die zum Glück nicht ganz so quietschbunt ausgefallen ist wie zu erwarten), auch wirkt der Erdball dadurch ein wenig unharmonisch. Und sagt jetzt bloß nicht, die Gräben kann man doch als Gradnetz interpretieren. So zickzack-mäßig verlaufende Linien wären ein Albtraum für jeden Navigator auf hoher See.
Die Kontinente hingegen haben die Designer wunderbar getroffen – und aus meiner Sicht weitaus besser als Guillaume Roussel in seinem Entwurf. Während er nämlich aus der Sahara und dem australischen Outback mit dem Einsatz grüner Plates kurzerhand blühende Landschaften machte, bleibt der LEGO 21332 Globus bei einer realistischen Topografie und nutzt stattdessen tan-farbene Plates für Wüsten und trockene Regionen.
Bei einem so kleinen Maßstab und der Beschränktheit der LEGO-Teilepalette kann man natürlich nicht jeden winzigen Flecken unseres Planeten nachbilden. Die Bewohner der Antillen und der pazifischen Inseln werden das den Designern aber sicherlich verzeihen – dafür ist der Rest der Welt mitsamt Meeren und größeren Seen eindrucksvoll getroffen. Einzig allein bei Europa hat man in Billund ziemlich geschludert. Die markante italienische Halbinsel einfach so mit einem kläglichen Viertelkreis nachzustellen, tut in den Augen weh. Die Stelle schreit förmlich danach, mit einer weiteren Tile etwas in die Länge gezogen zu werden.
Und auch ob die kantige Standard-Platte für die aus meiner Sicht doch rundliche Westküste Anatoliens so gut gewählt ist, lässt sich bestreiten. Island kurzerhand zur grünen Insel zu erklären ist auch gewagt, aber den Gletscher wird’s ja eh nicht mehr lange geben, also warum dem Schicksal nicht ins Auge blicken. Die Nachrichtensprecher wird’s eh freuen, nicht mehr „Breiðamerkurjökull“ sagen zu müssen.
Schon seit Längerem verfolgt man bei Ideas den Trend, Dekoobjekte in Sets umzuwandeln. Das allerdings ist nicht unproblematisch. Modelle dieser Art taugen höchstens als Gimmick, der Spaß liegt allein in der Tatsache sagen zu können: Guck mal, eine Schreibmaschine, eine Gitarre, ein Globus aus LEGO-Steinen. Und auch für die Designer ist es nicht zuletzt ein Dilemma: Hyperrealistisch bauen und damit das eigene Baumaterial negieren, sozusagen gegen die Natur des LEGO-Steins bauen oder etwas von dem noppigen Charme lassen? Ein Drahtseilakt, der bei unserer Erdkugel nicht ganz gelungen ist: Als echter Globus nicht einsetzbar, als LEGO-Replik nicht sonderlich hübsch.
Was bei einem Globus zudem hinzukommt: Es ist ja nicht irgendein Dekoobjekt. Ein normaler Globus an sich ist immer schon Abstraktion der realen Verhältnisse, ein LEGO Globus hingegen Abstraktion einer Abstraktion. Das in LEGO-Form umzusetzen kann mitunter schief gehen, wie man an diesem Modell beispielhaft studieren kann: Was wir hier haben, ist eher die Karikatur eines Globus.
So bleibt dann eigentlich nur noch eine wirkliche Funktion, die dieses Set erfüllt – und zwar jene, die Globen in der Geschichte vor vielen Jahrhunderten schon mal inne hatten: Ein Prestigesymbol. 200 Euro für einen klobigen Erdball auszugeben, der einem ein kantiges Zerrbild unserer Welt zeigt, ist schon ein ordentliches Statement. Ein Sammelobjekt, ein Luxusgut für die eigene Sammlung: Das ist die wahre Essenz des LEGO 21332 Globus.
Die Welt ist nicht perfekt – das gilt für unsere reale, wie auch diese noppige Klötzchen-Erde. Geografie-Nerds mit Faible für Klemmbausteine seien gewarnt: Einfach zu sagen „Was kostet schon die Welt?“ und zum Preis von 200€ zuzuschlagen, ist vielleicht etwas verfrüht. Aber wie es mit unserer so unperfekten Welt nun mal ist: Man schließt sie irgendwie ins Herz – trotz ihrer Macken. Und was nicht gut ist, kann man ja immer noch besser machen – und dazu braucht man nur ein bisschen Fantasie und ein paar LEGO-Steine. Wenn die Dinge doch immer so einfach wären.
Mein persönliches Fazit (klingt nach meinem Empfinden ähnlich wie das aus dem Review): An Sinnlosigkeit nur schwer zu überbieten, aber wem es gefällt und wer gerne Staub wischt: Bitteschön!
Ich finde diesen Trend irgendwelche Dekoobjekte, die im Original noch irgendwie cool wären (ne alte Schreibmaschine, ikonische Adidas Treter, ne Gitarre usw usw), auf mehr oder weniger Krampf mit Legosteinen darstellen zu wollen und dafür gepfefferte Preise aufzurufen, absolut den falschen Weg. Aber Lego scheint sich wirklich das Ziel auf die Fahnen geschrieben zu haben auch wirklich der letzten erwachsenen Person irgendein überteuertes Legoprodukt anzudrehen. Wird sich zeigen, ob das auf Dauer gut geht!
Erstmal Danke, Arnold, für dieses sehr ausführliche und persönliche Review! Hat mir viel Spaß gemacht zu lesen.
Mir geht es Ähnlich wie NErdi – andererseits finde ich es cool, Gegenstände, die sich bei erster Betrachtung eigentlich einer Nachbildung aus Lego entziehen, dann doch aus Bausteinen zu erstellen. Die Schreibmaschine habe ich mir gekauft und bin begeistert, wie mit „standard“-Legosteinen diese Mechanik gebaut wird – ich ziehe regelmäßig meinen Hut vor den Designern, die sich so etwas ausdenken. Was der Schuh soll kann ich nicht nachvollziehen … und beim Globus bin ich noch hin-und hergerissen …
und für flat earth anhänger gibt es auch ein prima moc. einfach alle steine auf eine plate stecken
Wenigstens gibt’s dann keine gaps durch die man dass Innenleben sieht
Noch mehr Beweis, das die Erde flach ist! Wenn man nach unten schaut, sieht man doch kein innenleben?
Die vier Reifen im Inneren sehe ich übrigens als ein Kontergewicht an, um das geringere Gewicht der fehlenden Landmasse im Pazifischen Ozean auszugleichen. Ohne die Reifen hätte sich vermutlich eine Unwucht beim Drehen ergeben.
Müsste man mal testen, ob sich der Globus ohne die Reifen auch noch so butterweich dreht.
Ah, das dachte ich mir schon fast. Ich bin was Maschinenbau, Ingenieurswesen und alles Technik-mäßige angeht leider total unbegabt, deshalb lieben Dank für alle eure Erläuterungen! 🙂
Apropos Achtsamkeit: da hab ich doch glatt statt „in Sachen Achtsamkeit“ „in Sachsen-Anhalt“ gelesen. Tja.
Sehr ausführliches, schön geschriebenes Review mit tollen Bildern, vielen Dank! Musste schon einige Male sehr schmunzeln 🙂
Vielen Dank für die netten Worte! Es freut mich immer, wenn ich mit meinen Reviews jemanden zum Lachen bringen konnte. 🙂
die Reifen braucht’s für den Rundlauf – ohne sie rattert die Erde in ihrer Achse, die Bewohner werden in den Weltraum geschleudert, und dann ist Gejammer. ich finds gut dass lego etwas weiter denkt als bis zum Kugelbau.
so oder so … vermutlich wird das bei mir mal ein 2nd-hand-kauf für 120 Euro inkl Versand. das Set ruft ja fast schon „weiterverkaufen“. ich mag diese Art von Sets – günstig kaufen, mal bauen, wenn es gefällt ins Archiv, wenn nicht, weiterverkaufen. die 200 Euro Liste lassen mich da völlig kalt.
Größtes Danke für die ganz ganz tolle Beschauung dieses Sets. Für mich war es bis zum Schluss unmöglich das Lesen zu unterbrechen. Ja, soeben sitze ich beim Bau von Neuschwanstein eines anderen Herstellers, das bedeutet ich sehe Parallelen, jedoch auch gigantische Unterschiede. Grüne runde, eckige und schräge Platten als Pflanzen zu setzen steht da auch im starken Kontrast zu bautechnischer Raffinesse.
Herzlichen Dank für die lieben Worte! Schön zu hören, dass das Review gut ankommt! 🙂
Danke für das ausführliche Review. Es hat mit geholfen eine Entscheidung zu treffen.
Danke für deinen lieben Kommentar! Super, es freut mich, bei deiner Kaufentscheidung etwas geholfen zu haben! 🙂
Großartige Review. Ich liebe den Exkurs über die Geschichte der Golbi, das war sehr schön zu lesen.
Vielen herzlichen Dank! Und „Globi“ als Plural ist doch gar nicht so unintuitiv – wenn mich meine Kenntnisse aus einem dreiwöchigen Latein-Crashkurs nicht täuschen, ist das doch o-Deklination, oder? 😉
Wow, ein super Artikel Arnold! Besonders auch die Globus Historie Fakten!! Suuuuper!! Mir gefällt er super! Mit 20% Rabatt schlag ich aufjedenfall zu!!
Lieben Dank! Dann war es ja gar nicht so schlecht, dass ich noch ein bisschen zur Globengeschichte recherchiert habe. Dir auf jeden Fall viel Spaß mit dem Globus! 🙂
Ein schönes Review! Sehr informativ und unterhaltsam. Ich habe von Anfang an nichts von dem Globus gehalten. Aber er verleitete den Herr Kloninger zu diesem wunderbaren Review. Und das ist doch schon mal was
Guter Artikel. Blödes Modell.
Außergewöhnlich gut recherchiert und fantastisch geschrieben. Da macht das Lesen Spaß, auch wenn einen das Modell eigentlich gar nicht interessiert. Hut ab und bitte mehr von dieser Art von Schreibe.
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