Hitler-Tagebücher: „Ich habe gelogen – für den Verlag“ - WELT

2022-04-22 19:17:31 By : Ms. Vicky Zhang

D ieser Mann ist ein Getriebener. Er hat vor 30 Jahren einen bösen Geist aus der Flasche gelassen, und dieser Geist verfolgt ihn bis heute. Jeder Winkel der kleinen Wohnung von Gerd Heidemann in Hamburg-Altona besteht aus Erinnerungen. Erinnerungen an seine große Zeit als erfolgreicher Reporter. Akten, Bänder, Bilder, Fotos, Handschriften und Abschriften – jeden Verzehrbeleg und Aufschlag für die erste Klasse der Bahn hat er aufbewahrt und archiviert. Ein paar Straßen weiter hat er ein weiteres Materiallager eingerichtet.

In den glorreichen Tagen des "Sterns" war er einer der erfolgreichsten Reporter. Seinem legendären Chef, "Stern"-Erfinder Henry Nannen, war er zwar nicht freundschaftlich verbunden, aber die beiden pflegten schon eine besondere Beziehung. Nannen war nicht nur ein genialer Blattmacher, sondern auch ein ungerechter Choleriker. Fast alle Redakteure des "Sterns" bekamen das irgendwann mit voller Wucht zu spüren. Nur der oft gelobte Gerd Heidemann nicht. Mit ihm nahm Nannen in der Kantine auch mal am Zweiertisch einen Imbiss ein und plauderte über die nächsten aufsehenerregenden Geschichten seiner besten Spürnase.

Auch über den angeblichen Fund der Hitler-Tagebücher war Nannen laut Heidemann auf diese informelle Art und Weise sehr früh eingeweiht. Spesenbelege, auf denen das Stichwort "Hitler-Tagebücher" stand, sind vom Verlag offiziell abgezeichnet worden. Viele Mitarbeiter wussten also von der Geschichte. Doch am Ende sollte Heidemann das alles nichts nutzen. Die Bombe platzte.

Der "Stern" hatte Millionen für eine nicht besonders elegante Fälschung bezahlt. Eine journalistische Jahrhundertkatastrophe. Aus Heidemanns Sicht wurde schnell die gesamte Schuld am Desaster bei ihm abgeladen. Er war ein leichtes Opfer für die Verlagsmanager von Gruner + Jahr, für seine Chefredakteure, für den Übervater Nannen, die Ressortleiter und Anwälte. Und gegen diese Opferrolle kämpft Heidemann seit 30 Jahren. Ja, es war auch seine Schuld. Aber es war nicht seine alleinige Schuld. Ja, auch er hat gelogen. Aber nur ein einziges Mal. Und nur im Interesse und auf Verlangen des Verlages. Niemand hat es ihm gedankt. Im Gegenteil. Sie haben ihn verraten, verkauft und in das Gefängnis wandern lassen. So geht Heidemanns Version der Geschichte.

Heidemann ist eine wandelnde Zeitmaschine. Er kennt jedes Datum dieser Affärenmonate. Er kann jeden Satz, der gesprochen wurde, flüssig zitieren. Er hat auch alles auf Tonband aufgenommen. Aber das braucht er eigentlich nicht. Mit seinen 81 Jahren erzählt er in drei Stunden ohne Atempause seine Geschichte von den Hitler-Tagebüchern und einem betrogenen Reporter.

Welt am Sonntag: Herr Heidemann, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie das erste Mal ein angebliches Hitler-Tagebuch gesehen haben?

Gerd Heidemann: Natürlich. Das war am 6. Januar 1980. Ein potenzieller Käufer meines Schiffes, der "Carin II", machte mich auf einen Sammler in Baden-Württemberg aufmerksam, der eine Riesen-Hitler-Sammlung hätte – darunter auch ein Tagebuch. Die Funde würden alle aus einem Transportflugzeug stammen, das im April 1945 in Sachsen verunglückte. Ich habe diesen Herrn in Waiblingen besucht. Ein Raum war voll mit Hitler-Devotionalien, auch Urkunden, Bilder, über 1000 Schriftstücke, angeblich von Hitler. Aber wie sich später herausstellte, waren das alles Kujau-Fälschungen.

Welt am Sonntag: Ein Raum voller Hitler-Devotionalien: Wurden Sie da nicht misstrauisch? Konnte dieser Mann eine seriöse Quelle sein?

Heidemann: Natürlich war ich misstrauisch. Ich sprach ihn auf das angebliche Tagebuch an und konfrontierte ihn mit der Tatsache, dass die Generäle, mit denen ich noch Kontakt hatte, nie erzählt hatten, dass Hitler Tagebuch führte. Aber der Stiefel sagte, dass sein Bekannter, dessen Bruder General der NVA sei, schon Verhandlungen mit einem amerikanischen Pressekonzern führen würde. Obwohl ich beim "Stern" gekündigt hatte, sah ich es als meine Pflicht an, diese Dokumente für den "Stern" zu sichern. Aber Stiefel meinte, seine Quelle – das war Kujau – wolle nicht mit so einer linken Zeitschrift wie dem "Stern" "zusammenarbeiten. Dann ging er an seinen Tresor, holte eine schwarze Kladde und ließ mich darin blättern. Zwei Sätze sind mir in Erinnerung geblieben: "Wenn Stalin glaubt, er könne so weitermachen, müssen wir ihm einen Riegel vorschieben." Und: "Meine Magenverstimmung hat sich behoben, ich kann wieder feste Nahrung zu mir nehmen."

Welt am Sonntag: Der "Führer" kann wieder feste Nahrung aufnehmen: Und Sie haben geglaubt, dass das echt war?

Heidemann: Ich habe ihn gleich gefragt, wo das denn herkäme und wie viele Bände es denn gäbe. Und er meinte, das wären über 25 und die müssten alle aus der DDR herausgeschleust werden. Ich bin dann zurück nach Hamburg gefahren, habe die Reise als Privatreise betrachtet und gar nicht weiter abgerechnet.

Welt am Sonntag: An dieser Stelle hätte also noch alles gutgehen können …

Heidemann: Ja. Aber als ich ein paar Tage später in der Kantine saß, setzte sich Henri Nannen zu mir und fragte mich, woran ich gerade arbeite. Ich fragte ihn direkt, ob er wüsste, dass Hitler Tagebuch geführt habe. Nein, wieso? Da habe ich von dem Sammler und der Kladde erzählt, und da sagte er relativ uninteressiert: Kriegen Sie die denn? Ich berichtete ihm von den Schwierigkeiten und der angeblichen DDR-Herkunft, und Nannen schickte mich zu Thomas Walde, der gerade das Ressort Zeitgeschichte aufbaute. Nannen hat mir keinen Auftrag gegeben, aber wusste Bescheid.

Welt am Sonntag: Wie war Ihr Verhältnis zu Nannen, dem Übervater des "Sterns"?

Heidemann: Gut. Er hat mir ja immer schwierige Aufträge gegeben, und die mussten dann klappen. In einem Editorial schrieb er mal: "Was ein Staatsanwalt für die Justiz ist, ist Heidemann für den ‘Stern‘. Spurenerheber, Beweissicherer und Fotograf in einer Person."

Welt am Sonntag: Waren Sie befreundet?

Heidemann: Nein, gar nicht. Später sagte er sogar, er habe nie etwas mit mir zu tun gehabt. Da hat er gelogen.

Welt am Sonntag: Aber zu diesem frühen Zeitpunkt der Geschichte war Nannen schon informiert?

Heidemann: Ja, natürlich. Er hat mich auch zwischendurch immer wieder gefragt, wie der Stand ist. Ich habe ja lange Serien recherchiert, die manchmal über ein Jahr liefen, war in 13 Kriegen als Bildreporter und habe den Schriftsteller B. Traven in Mexiko aufgespürt.

Welt am Sonntag: Sie waren der Star-Reporter des "Sterns"?

Heidemann: Ach, damals hat doch keiner von Star-Reporter gesprochen. Ich bekam ein gutes Gehalt und konnte alle Geschichten recherchieren, die ich wollte. Insgesamt habe ich auch drei Mal gekündigt, bin aber dann doch immer dageblieben. Aber jede Abrechnung, die ich gemacht habe, wurde von der Chefredaktion genau geprüft. Das galt für eine Flasche Whisky genauso wie für die Hitler-Tagebücher.

Welt am Sonntag: Wie ging es nach der Begegnung mit Nannen weiter?

Heidemann: Ich habe Dr. Walde gefragt, ob er von Hitler-Tagebüchern wusste. Er wusste aber auch nicht, ob Hitler Tagebuch geführt hat, sagte aber, ich solle versuchen, die zu bekommen. Das war ja auch seine Pflicht als Ressortleiter. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber schon gekündigt, ich wollte als freier Journalist ein Buch schreiben über meine Südamerika-Reise, auf der ich Klaus Barbie und Walter Rauff interviewt hatte. Ich hatte nur noch die Kündigungsfrist von zwölf Monaten abzudienen. Aber Walde sagte, ich solle das jetzt versuchen und könne das dem "Stern" später auch als freier Journalist anbieten. Dr. Walde wollte dann auch auf meinem Schiff eine Besprechung über NS-Themen machen. Auf die Themenliste hatte er auch schon die Hitler-Tagebücher gesetzt, obwohl ich noch gar nicht wusste, ob an der Geschichte was dran war. Ich schlug deshalb als Thema die Geschichte der SS-Schule auf der Wewelsburg vor.

Welt am Sonntag: Sie waren selbst also zunächst nicht so interessiert, wurden aber von Ihren Vorgesetzten gedrängt?

Heidemann: Ja. Dem stellvertretenden Chefredakteur Victor Schuller, mit dem ich Anfang Oktober 1980 wegen der Entführung der Kronzucker-Töchter in der Toskana war, erzählte ich von Waldes Auftrag, die Tagebuch-Geschichte zu recherchieren. Er riet mir, nicht das abgestürzte Flugzeug zu suchen, sondern über den Mittelsmann in Waiblingen dem Tagebuch-Beschaffer einen Millionenbetrag zu bieten. Damals dachte ich ja noch, die Dinger lägen wirklich in der DDR, eine Geldübergabe wäre sehr schwierig, von der korrekten Abrechnung ganz zu schweigen. Aber Schuller hatte schon Ideen, wie man das abwickeln könnte, er wollte das über eine Agentur in der Schweiz abwickeln. Darauf bin ich wieder zu Walde gegangen und habe gesagt, ich würde mich jetzt um die Sache kümmern. Das war im Oktober 1980.

Welt am Sonntag: Sie suchten dann erst das Flugzeug in der DDR.

Heidemann: Genau. Das gab es ja auch, und die Geschichten um angebliche persönliche Gegenstände von Hitler in der Maschine hörte ich auch immer wieder. Das ist ja das Perfide an der Geschichte: Die falschen Hitler-Tagebücher wurden in die echte Geschichte über ein abgestürztes Flugzeug eingeflochten. Ich sprach sogar mit Hitlers Chefpilot, Hans Baur, der mir das alles bestätigte. Baur hat Kujau auch bei dem Sammler in Waiblingen getroffen und das falsche Tagebuch zu sehen bekommen. Das sei alles aus der abgestürzten Maschine, sagte Baur dort. Kujau hat sofort die Ohren gespitzt, nun hatte er natürlich eine wunderschöne Legende für die Herkunft seiner Fälschungen präsentiert bekommen. Das war raffiniert. Aber natürlich haben wir im Folgenden auch manches, was nicht passte, ausgeblendet.

Welt am Sonntag: Sie sind also 1981 nach Börnersdorf in die damalige DDR gefahren?

Heidemann: Sogar mit dem Segen der Stasi, der wir von der Suche nach Akten aus der Reichskanzlei erzählt haben. Die haben uns in einem Mercedes von Berlin über Dresden nach Börnersdorf gefahren. Dieses Dorf im Osterzgebirge hatte ich als Absturzort ausfindig gemacht. Wir haben dann die Gräber der Flugzeugbesatzung und der Männer des Führerbegleitkommandos auf dem Dorffriedhof gefunden. Es schien alles zu passen. General Baur sagte, Hitler sei entsetzt gewesen, als er von dem Absturz des Flugzeugs erfuhr, weil das seine persönlichen Aufzeichnungen transportiert habe. Der ehemalige SS-General Wolff, mit dem ich die Südamerika-Reise gemacht hatte, meinte sich erinnern zu können, dass Hitler abendliche Runden mit den Worten beschloss, er müsse noch seine Einträge in sein Tagebuch machen. Ich war mir ziemlich sicher, dass es Tagebücher gab, weil wir darüber auch Hinweise in amerikanischen Geheimdienstakten fanden. Im Nachlass von Julius Schaub, Hitlers Adjutanten, war auch zu lesen, dass es vermutlich Tagebücher gab. Aber das war eben der Fehlschluss, den wir machten: Durch die richtige Geschichte der Gepäckmaschine Hitlers haben wir die Kujau-Lügen über die aus dem Wrack geborgenen Tagebücher geglaubt, da er dazu auch eine plausible Erklärung abgeben konnte.

Welt am Sonntag: Sind Sie denn noch auf der Suche nach den Tagebüchern?

Heidemann: Nein, ich habe zwar erfahren, welche Wehrmachtseinheit die Kisten aus dem Wrack geborgen hat, aber ich hatte keine Lust mehr, mich weiter mit dieser Geschichte zu befassen. Eine Luftwaffen-Einheit hatte die Kisten aus dem Flugzeugwrack abgeholt und ist damit Richtung Allgäu weggefahren.

Welt am Sonntag: Damals waren Sie der Überzeugung, dass Sie die richtigen hatten. Und der Verlag Gruner + Jahr rückte das Geld bereitwillig heraus.

Heidemann: Das wollte ich ja gar nicht! Ich wollte das privat vorfinanzieren, hatte auch schon einen wohlhabenden Holländer aus Leiden gefunden, der es dem "Stern" umsonst überlassen und dafür an der internationalen Vermarktung verdient hätte. Ich habe ihn sogar darauf hingewiesen, dass er das Risiko übernehmen müsse, wenn sich die Bücher als Fälschungen erweisen sollten. Das war kein Problem für ihn. Er wollte bis zu fünf Millionen Mark zahlen. Das war im Februar 1981.

Welt am Sonntag: Schon zu diesem Zeitpunkt hatten Sie also durchaus die Möglichkeit durchgespielt, dass die Bände gefälscht sein könnten?

Heidemann: Ja, das habe ich immer getan.

Welt am Sonntag: Warum die Geheimhaltung, warum die Umgehung der Chefredaktion? Hinterher haben doch die Chefredakteure gesagt, Sie hätten von nichts gewusst.

Heidemann: Das stimmt doch nicht! Ich habe fast jede Reisekostenrechnung mit dem Thema "Hitler-Tagebücher" abgerechnet, auch die Reisen in die DDR, das hat die Chefredaktion abgezeichnet. Im Übrigen wussten die Chefredakteure seit 13. Mai 1981 Bescheid: Weil sie mich in die Türkei schicken wollten, damit ich die Hintergründe des Papst-Attentäters recherchieren sollte, musste auf meine Veranlassung die Verlagsleitung den Chefredakteuren klarmachen, dass ich Wichtigeres zu tun hatte. Und der Chefredakteur Peter Koch sagte noch zu mir, dass das ja wieder eine tolle Sache sei, an der ich arbeiten würde.

Welt am Sonntag: Aus der privaten Vorfinanzierung wurde aber nichts. Warum?

Heidemann: Die Verlagsleitung wollte das selbst bezahlen, weil die das große Geschäft witterte. Der Vorstandsvorsitzende Dr. Manfred Fischer sagte nur: "Der ‘Stern‘ interessiert mich gar nicht, Herr Heidemann. Ich will das weltweit vermarkten." Der hat das als Kaufmann gesehen, er wollte das große Geschäft machen. Fischer hat uns dann eingeteilt: Ich sollte die Tagebücher beschaffen und die Geschichte recherchieren und mir die Urheberrechte Hitlers übertragen lassen. Walde sollte die Geschichte schreiben.

Welt am Sonntag: Aber Nannen und die Chefredakteure kannten Kujaus Namen nicht.

Heidemann: Das stimmt. Ich habe ihn erst in der Nacht, nachdem die Fälschung aufflog, preisgegeben. Aber Dr. Fischer habe ich gleich den vollen Namen genannt. Und Schulte-Hillen habe ich ihn Anfang Mai 1983 gesagt.

Welt am Sonntag: Die Authentizität der Tagebücher interessierte Fischer nicht?

Heidemann: Doch, er sagte nur, ich müsse mich nicht darum kümmern. Dr. Walde und der stellvertretende Verlagsleiter Wilfried Sorge würden die weltweit besten Handschriftengutachter mit Schriftgutachten beauftragen. Die beiden Herren hatten aber auch Angst davor, die Dokumente prüfen zu lassen. Gutachter unterliegen keiner Schweigepflicht, die Geschichte der Tagebücher könnte im "Spiegel" stehen und die weitere Beschaffung aus der DDR gefährden, fürchteten sie.

Welt am Sonntag: Und die ersten Gutachten bestätigten die Echtheit?

Heidemann: Ja, als Erstes traf das Schriftgutachten des LKA Rheinland-Pfalz ein. Ergebnis: Es sei die Schrift Adolf Hitlers, ohne den geringsten Zweifel. Ich sagte noch zu Walde, dass wir eine Papier- und Tintenprüfung machen sollten. Aber er gab sich damit zufrieden, dass die Schrift echt sein sollte. Seine These: Da die echt sei, müsse das Material auch echt sein. Auch ein amerikanischer und ein Züricher Gutachter sollten ein Schriftgutachten erstellen. Wir baten aber auch das BKA um Materialproben.

Welt am Sonntag: Tinten-, Schrift- und Papiergutachten sind ja prima. Aber sind es nicht Historiker, die die Plausibilität am besten prüfen können?

Heidemann: Natürlich, daher hatte Walde ja in der Endphase im März 1983 einen jungen Historiker eingestellt, der das übernehmen sollte. Was der wirklich geprüft hat, weiß ich nicht. Dr. Walde wollte nach der Pleite dessen Namen auch vor Gericht nicht preisgeben, um dessen Karriere nicht zu gefährden.

Welt am Sonntag: Haben Sie denn selbst nie drin gelesen?

Heidemann: Ja, doch, aber ich bin ja kein Historiker. Während des Prozesses gegen mich und Kujau sagte Walde aus, dass ich immer auf eine Prüfung des Papiers und der Tinte gedrungen hätte. Der Staatsanwalt sagte daraufhin, dass sei ein Beleg dafür, dass ich die Unwahrheit sage. Denn ich sei ja angeblich immer von der Echtheit der Tagebücher überzeugt gewesen, dann hätte ich sie ja nicht prüfen lassen müssen. Was ich auch machte und sagte: Es wurde alles gegen mich verwendet.

Welt am Sonntag: Wie konnte ein hartgesottener Reporter und Menschenkenner wie Sie auf den Fälscher Konrad Kujau hereinfallen?

Heidemann: Der war immer nett, höflich und bescheiden. Ein ruhiger Typ, der sich zum Essen nur Würstchen mit Kartoffelsalat bestellte. Dem habe ich sogar noch vertraut, nachdem die Fälschung geplatzt war. Ich habe es nicht glauben können, dass mich mein Freund Conny so übers Ohr hauen konnte.

Welt am Sonntag: Und alle Vorsicht wurde fallen gelassen …

Heidemann: Einmal setzte ich mich mit Walde zusammen, und er sagte: "Lass uns mal annehmen, die Tagebücher sind Fälschungen. Wir wissen, sie sind echt, aber lass uns einmal annehmen, sie seien fabriziert. Welcher Geheimdienst könnte uns das anhängen? Der KGB, der BND, die Stasi, der Verfassungsschutz?" Wir haben in großen Zusammenhängen gedacht, an geheime Verschwörungen, nicht aber an einen gerissenen Gauner. Es schien sich doch alles bestätigt zu haben. Und in den Gutachten stand immer "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit". Das reichte uns. Hätte ich Zweifel geäußert, hätten die mich doch für verrückt erklärt.

Welt am Sonntag: Wenn Sie heute zurückblicken: Wo haben Sie den entscheidenden Fehler gemacht?

Heidemann: Ich hätte mich viel stärker für noch profundere Gutachten einsetzen müssen. Außerdem hätten wir natürlich wenigstens die Prüfung des BKA abwarten müssen, die am 6. Mai ja feststellte, dass alles gefälscht war. Dann wäre das Geld zwar auch weg gewesen, aber wir hätten uns die Welt-Peinlichkeit der Veröffentlichung gespart. Einmal habe ich Walde mit Ungenauigkeiten, Fehlern konfrontiert, die in dem Band von 1933 standen. Da ging es zum Beispiel um einen Kasernennamen. Ich sagte Walde, dass hier etwas nicht stimmt. Der meinte nur: "Merk dir das, das hauen wir dem Arsch alles um die Ohren!" Mit dem "Arsch" meinte er Hitler, den er posthum korrigieren wollte.

Welt am Sonntag: Erlagen Sie einer unkritischen Hitler-Faszination, die es in den 80er-Jahren noch gab? Sie waren ja auch mit den SS-Generälen Mohnke und Wolff befreundet.

Heidemann: Nicht bei mir. Aber der Vorstandsvorsitzende Fischer berichtete vor Gericht, er habe die Bände ganz ehrfurchtsvoll in die Hände genommen. Und die Generäle waren auch Quellen, die mich zu alten Nazis geführt haben, die ich enttarnen konnte.

Welt am Sonntag: Aber auch Sie haben gelogen. Sie gaben an, Geld auf der Transitstrecke Hamburg-Berlin übergeben zu haben, obwohl das nie der Fall war.

Heidemann: Das habe ich getan – aber nur, um dem Verlag eine Legende zu geben, die Summen steuerlich absetzen zu können. Für eine solche Übergabe, die aufgrund der angeblichen Herkunft der Bücher aus der DDR halbwegs glaubwürdig klang, konnten die Steuerbehörden keine Quittung verlangen. Natürlich bin ich immer nach Stuttgart geflogen, um Kujau das Geld zu überbringen. Einmal hat Nannen auf einer Sitzung mit der Verlagsleitung und Chefredaktion gesagt: "Geben Sie es doch zu, Sie kaufen die Tagebücher der Stasi ab!" Das wäre wirklich das Ende des "Sterns" gewesen. Aber das stimmte nicht, Gott sei Dank.

Welt am Sonntag: Sie sind verurteilt worden, wegen Betrugs. Zu Unrecht?

Heidemann: In der Anklageschrift stand drin, ich hätte die Fälschung billigend in Kauf genommen und höhere Preise vom Verlag verlangt, als ich selbst bezahlen musste. Ich habe das Geld bei Kujau abgeliefert, ich habe nichts unterschlagen. Er hat das versteckt oder verprasst, da bin ich sicher. Mir hat er erzählt, sein Bruder und drei andere NVA-Generäle der DDR hätten sich schon Datschen am ungarischen Plattensee von dem Geld gekauft, ungarische Konten eingerichtet und einen großen Aktienbesitz von Mercedes-Benz erworben. Das war natürlich frei erfunden. Alle diese Aussagen habe ich auf Tonband. Aber die Bänder wurden nicht als Beweis herangezogen, weil ich sie heimlich aufgenommen habe.

Welt am Sonntag: Also hatte Kujau das Geld?

Heidemann: Seine Großnichte hat mir einmal erzählt, er habe ihr aufgetragen, nichts Schriftliches wegzuwerfen, wenn er tot sei. Denn er habe Hinweise auf das Geld hinterlassen. Aber seine Lebensgefährtin hatte er offensichtlich nicht eingeweiht. Als er starb, soll sie alles aus dem Nachlass dem Hausmeister zur Vernichtung überlassen haben. Der wiederum soll einen Teil an einen Lehrer verkauft haben. Teile des Nachlasses, wie Polizeiprotokolle und Kontoauszüge, tauchen ab und an bei Ebay auf. Die versteigert der da. Da müsste man auch mal nachforschen. Was es da wohl noch gibt?

Hin und wieder unterbricht Gerd Heidemann seinen Vortrag, um den "Welt am Sonntag"-Reportern Dokumente zu zeigen. Er steigt auf seine Trittleiter und zieht Akten aus dem Regal. Zum Beispiel ein Papier, das nahelegt, dass der Englandflug von Rudolf Hess kein wahnsinniger Alleingang war, sondern in den höchsten Kreisen der NS-Führung bekannt und auch gewünscht.

Eine sensationelle Geschichte – wenn sie wahr wäre. Doch der böse Geist hat Heidemanns Dokumente kontaminiert. Mit einem strengen Geruch nach Zweifeln und Betrug. Und egal wie akribisch Gerd Heidemann gegen diesen Geist kämpft, egal, ob er mit seiner Wahrheit recht hat oder nicht, er wird ihn nie wieder zurück in die Flasche befördern können. Bis zu seinem Ende.

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