Abfall- und Gassibeutel: So sollen Sie trotz Plastikverbots überleben - WELT

2022-03-03 05:55:49 By : Mr. Jacy Z

D er Hundebesitzer zückt einen Gassibeutel aus der Hosentasche, bückt sich und sammelt die Hinterlassenschaften seines schwarzen Labradors Dieter ein. „Die Beutel habe ich vom Recyclinghof, die sind gut, die halten eine Menge aus“, sagt der Mann. Bezahlen muss er sie nicht, seine Kommune Hamburg kauft die Hundekotbeutel und verteilt sie über verschiedene Stellen an die Hundehalter.

Rund acht Millionen Hunde leben in Deutschland. Experten schätzen, dass etwa die Hälfte ihrer Herrchen bei den Gassigängen den Hundehaufen per Beutel abräumen. Doch die kleine schwarze Plastiktüte – in den meisten Fällen ein Cent-Produkt aus asiatischen Fabriken – hat es in sich. Der Plastikbeutel muss das Gewicht des Haufens aushalten und soll zugleich in der Herstellung möglichst dünnwandig und günstig sein. Dennoch ist die Zukunft des Gassibeutels in seiner heutigen Form ungewiss.

Wie andere Teile der Industrie befinden sich auch die Hersteller und Verkäufer von Müllbeuteln in einer Transformation. Schließlich kommen Abfallbeutel in Zeiten des Plastikverbots unter Druck, Ersatz oder wenigstens grüne Lösungen müssen her.

Allein bei dem Marktführer in Deutschland und Österreich, der Sund Group aus Hamburg, fällt bei jährlich rund fünf Milliarden verkauften Müllbeuteln, Müllsäcken sowie Einmalhandschuhen eine Riesenmenge Altplastik an – wenn die Produkte entsorgt werden. Sie sind dann Teil des Berges von mehr als sechs Millionen Tonnen Plastikmüll jährlich in Deutschland.

Spätestens nach dem Verbot etwa von Einweggeschirr oder Einwegbechern aus Plastik durch die Europäische Union müssen sich auch die Hersteller von Müllbeuteln auf Einschränkungen einstellen und nach Alternativen suchen. Noch ist der Ressourcenverbrauch für den Nachschub gewaltig: Rund 50 Millionen Tonnen Plastik werden jährlich in Ländern der EU verarbeitet.

Damit der Gassibeutel eine Überlebenschance hat, forscht das Familienunternehmen Sund Group an Varianten aus wiederverwertetem Material. Nun soll in Münster, Freiburg und Hamburg ein Hundekotbeutel mit einem Recyclinganteil von 60 Prozent eingesetzt werden. „Wir wollen einen Anteil von 80 Prozent erreichen“, sagt Clemens Eichler, Geschäftsführer der Sund-Tochtergesellschaft Deiss. Dann dürfe der Beutel das Umweltzeichen Blauer Engel tragen.

Bei zukünftigen Ausschreibungen der Kommunen rechnet der Manager damit, dass von den Anbietern ein Recyclinganteil verlangt wird. Irgendwann könnte auch die EU-Kommission einen Anteil vorschreiben. Und weil es hierzulande bislang noch keine Konkurrenz für den Gassibeutel aus Recyclingmaterial gibt, setzt Manager Eichler darauf, bei den öffentlichen wie privaten Bestellern mehr Geld dafür verlangen zu können. Schließlich sei der Beutel für Hundehalter „ein emotionales Thema“.

Als Material für den Recyclinganteil wird jedoch zunächst hauptsächlich Plastikgranulat aus Produktionsabfällen genutzt. Dieser Industrieabfall ist sauber und unkompliziert in den Maschinen einsetzbar. Ziel für den Hersteller Sund Group sind jedoch wiederverwertete Plastikabfälle etwa aus Müllbeuteln und Müllsäcken selbst.

Bei gelegentlichen Engpässen ist das sogenannte Recyclat aus Plastikabfall sogar teurer als neues Granulat aus Polyethylen. „Wir müssen unseren Hausmüllabfall derart aufbereiten, dass er den Anforderungen der Wiederverwertung entspricht“, sagt Eichler. Es gebe auf dem Markt ausreichend Recyclingmaterial zu erwerben, aber nicht genug gutes Material. Die Qualität des Plastikmülls etwa im Rahmen der Sortierung zu verbessern, sei ein wesentlicher Schritt hin zu einem höheren Anteil auch der Folien und Abfallbeutel in der Wiederverwertung.

Beim Gassibeutel kommt dagegen ein Recycling bislang kaum infrage. Denn dieser Abfall wandert in den Restmüll und in die Verbrennungsanlagen der Müllbetriebe. „Diese Beutel dürfen nicht in den Bioabfall, weil sie aus hygienischen Gründen nicht kompostiert werden dürfen. Sie müssen verbrannt werden“, sagt der 52-jährige Chemiker und Verfahrenstechniker Eichler. So laute die Gesetzesvorgabe.

Die Sund Group entwickelt die Beutel in Hamburg und lässt sie von einem Unternehmen in China produzieren. „Für die Fertigung derartiger Massenware bei Müllbeuteln gibt es in Europa keine Fabriken“, sagt Eichler. Die Rohstoffpreise seien dort geringer, die Arbeitskosten ebenfalls. Die Entwicklungsarbeit wie auch die hohen Mengen machen dieses Geschäft dennoch für das Familienunternehmen interessant. Vergangenes Jahr hat die Firma rund 55 Millionen Hundekotbeutel verkauft.

Im Vergleich mit jenen fünf Milliarden Abfallbeuteln sowie Einmalhandschuhen jährlich der Sund Group sind die Hundekotbeutel lediglich ein Nischengeschäft. Rund 5000 Artikel zur Müllentsorgung vertreibt das Unternehmen.

Der VW-Golf unter all diesen Produkten ist der „Meistverkaufte“, wie er als Marke heißt, ein blauer Müllsack mit einer Verkaufszahl von rund 100 Millionen Stück im Jahr. Die Weiterentwicklung geht in die Richtung, Material zu sparen. Deshalb sind die Müllbeutel oder Abfallsäcke in den vergangenen zehn Jahren um rund 40 Prozent dünner geworden.

Diese Fertigung hingegen spielt sich nicht im fernen China ab, sondern sozusagen vor der Haustür in Niedersachsen. In Echte bei Göttingen übernimmt der Folienhersteller Rheinische Kunststoffwerke (RKW) diese Auftragsarbeit und stellt für Sund Group die Müllsäcke her.

Der Besuch vor Ort ähnelt einer Reise in die Geschichte der Industrie, liegt die Fabrik doch über einer früheren Eisenerzgrube im ehemaligen Zonenrandgebiet. Mauerwerk und Stahlträger erinnern an die Gründung des Werks in den späten 1960er- Jahren.

In dem verschachtelten Bauwerk machen jedoch Maschinen des Digitalzeitalters aus Tausenden Tonnen Polyethylen-Granulat kilometerlange Schlauchfolien und das bei 220 Grad Celsius. Wie ein riesiger Luftballon schießt ein Folienstrang aus dem gigantischen Apparat bis 15 Meter in die Höhe. Schneidemaschinen zerteilen die Folie später zu Müllsäcken.

Das Granulat stammt aus Industrieabfällen. Die Abfallsäcke weisen einen Recyclatanteil von 90 Prozent aus. Beim Blick auf den riesigen Lagerplatz vor der Fabrik zeigt sich, dass es sich dabei um Folienverschnitt und Folienabfall aus der Industrie und damit bislang unbenutztes Material handelt.

All das soll sich in den kommenden Jahren ändern. „Wenn es uns nicht weiterhin gelingt, unser Produkt fortzuentwickeln, wird es verschwinden“, sagt Martin Klostermann, Geschäftsführer der Sund Group. Es gelte, den Ausstoß an Kohlendioxid in der Herstellung zu verringern und den Abfallkreislauf über die Wiederverwertung schließen.

„Den Müllbeutel als Einwegprodukt wird es, wie alle Einwegprodukte, nicht auf Dauer geben, wenn wir ihn nicht fortwährend verändern“, sagt der 58-jährige Manager. Die Produkte müssten „Teil der Lösung und nicht des Problems werden“. In zehn Jahren werde der Müllbeutel anders aussehen als heute.

„Er wird dann mit einem hohen Anteil an wiederverwertetem Material oder vielleicht auch aus nachwachsenden Rohstoffen wie Zuckerrohr oder Holzabfällen hergestellt“, sagt Klostermann, der seit zwei Jahrzehnten in dem Familienunternehmen und mittlerweile auch Gesellschafter ist.

Umweltlobbyisten mahnen denn auch Veränderungen an. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidungen der EU-Kommission drängt die Zeit. Schließlich erhebt die eine Abgabe auf nicht recycelte Plastikabfälle von 800 Euro je Tonne.

„Derzeit wird dies vom Staat und damit von jedem von uns bezahlt“, sagt Rolf Buschmann, Referent für den Bereich technischer Umweltschutz beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Pro Kopf seien dies etwa 16 Euro im Jahr. „Sinnvoll wäre es, die Unternehmen damit zu belasten, damit sie ihre Herstellung auf wiederverwertbares und recyceltes Material umstellen“, sagt Buschmann.

Auch zur Arbeit des Mittelständlers hat der Experte für Abfall und Ressourcen eine Meinung. „Was die Sund Gruppe in ihrer Produktion macht, ist legitim. Doch ökologisch sinnvoll wäre der Einsatz von Plastikabfall etwa aus dem Gelben Sack für die Herstellung neuer Produkte“, sagt Buschmann.

Der Meeresmülleimer, auf Englisch „Seabin“, ist eigentlich eine australische Erfindung. Damit weniger Plastikmüll in die Nordsee gelangt, kommt er nun auch in Norddeutschland zum Einsatz. Er schluckt Verpackungen, Flaschendeckel, Mikroplastik und sogar Öl.

Generelles Ziel müsse es sein, dass mehr Recyclat eingesetzt werde. „Allerdings sollte dieses Material aus Plastikabfall der Konsumenten gewonnen werden und nicht aus Abfall in der Industrieproduktion“, sagt der Lobbyist. Abfallsäcke aus Plastik seien ein derzeit notwendiges Utensil, wenn es zum Beispiel um Müll im öffentlichen Raum gehe. „Sinnvoll ist aber hier insbesondere die Herstellung aus tatsächlich wiederverwertetem Material“, sagt Buschmann.

Ob auch dieses Produkt zu den sinnvollen Erfindungen zählt, sei dahingestellt. So bietet der Mittelständler aus Hamburg je nach Saison unterschiedliche Düfte für die Müllsäcke zu Hause an. In der Winterzeit sorgten zuletzt Aromen aus Zimt für ein Weihnachtsgefühl beim Füllen oder Entleeren des Mülleimers. Aktuell seien Vanille und Orange besonders gefragt.

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